Mit Kanonenkugel: die Petri-Kirche

„Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der ist einem törichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand baute“ – Eigentlich sollte man meinen, dass gerade Kirchenbaumeister bei der Bauausführung die technischen Ratschläge aus der Bibel befolgt hätten. Gut, nun steht in der Heiligen Schrift etwas von einem Haus und nichts von einem Sakralbau, aber am Ende kommt es doch auf dasselbe heraus, sollte man meinen: Gebäude bleibt Gebäude. Nicht so in Kirchohsen:

"Steht auf dem ehemaligen Thieplatz: Die Petri-Kirche in Kirchohsen"
Steht auf dem ehemaligen Thieplatz: Die Petri-Kirche in Kirchohsen

Die Petri-Kirche ist ein Gotteshaus, das auf Sand gebaut wurde. „Allerdings nicht auf Sand im biblischen Sinn, sondern auf Wesersand, einem äußerst stabilen Untergrund für den Kirchenbau in unmittelbarer Nähe zum Fluss“, erklärt Pastor Frank Reuning von der Petri-Kirchengemeinde Ohsen.

Darüber hinaus liegt die Kirche etwas erhöht auf einem ehemaligen Thieplatz, der in vorchristlicher Zeit auch kultischen Spielen gedient haben soll. Bereits um 780 befahl Karl der Große in Ohsen den Bau einer Holzkirche als Missionszentrum, um von hier aus die Christianisierung der sächsischen Heiden voranzutreiben. Aus der Holzkirche wurde im Laufe der Zeit ein sakraler Steinbau.

Alte Grabsteine an der Petri-Kirche an die Außenwand gelehnt
"Alte Grabsteine an der Petri-Kirche an die Außenwand gelehnt"

Der Bau des Turms ans Langhaus wird um das Jahr 1300 angenommen. 1765 erfolgt der Neubau des Chores und die Neugestaltung der Kirchenfenster, von denen angeblich eines mit folgender Inschrift Karl den Großen als Gründer der Kirche in Ohsen ausweist: "König Carolus Magnus Fundator Ecclesiae in Osen - MCLX".

Sollte es dieses Fenster tatsächlich gegeben haben, ist es der unfangreichen Umgestaltungen der Kirche im Jahr 1820 zum Opfer gefallen. Die Gemeinde wünschte sich eine damals moderne umlaufende Empore. Die ursprünglich großen Kirchenfenster wichen kleinen und auch das Gestühl wurde erneuert. Einer anderen nicht belegten Überlieferung zufolge hatten auch die Einwohner von Emmern beim Bau der Kirche in Ohsen fleißig geholfen, sodass sie dafür von Karl dem Großen vom Zehnten befreit wurden.

Blick in das Kirchenschiff
"Blick in das Kirchenschiff"

Auf andere Art und Weise bedankte sich die Ohsener Kirche bei den Herren von Amelunxen für ihre überaus großzügige Finanzspritze zur Erneuerung des Kirchturms im Jahr 1581: Sowohl für den Vater als auch für den Sohn, beide Droste auf der Burg zu Ohsen, wurde in der Kirche ein Epitaph aufgestellt. Und weil es bei mittelalterlichen Reliefs nicht unüblich war, die Männlichkeit in herausragender Weise darzustellen, geschah dies auch bei den beiden Standbildern der spendablen Ohsener Herren, was zumindest bei einem von beiden noch bis heute in Ansätzen erhalten blieb und manchen Konfirmanden zum Schmunzeln bringt, wie Pastor Reuning berichtet.

Nicht in Stein gemeißelt, sondern eher geritzt sind die Spuren im Sandsteinportal des Eingangs. Hierzu gibt es ganz unterschiedliche Deutungen: Die einen sagen, es sind die Krallenspuren des Teufels, der es nicht bis in die Kirche geschafft hat.

Kratzspuren am Kircheneingang
"Kratzspuren am Kircheneingang"

Andere Quellen berichten von aus Kirchenmauern gewonnenem Sandsteinmehl, das als Wundermedizin sogar gegen die Pest eingesetzt wurde. Sogenannte Pestrillen sind von mehreren Kirchenbauten bekannt. Die tatsächliche Ursache dieser Kratzspuren dürfte allerdings darin liegen, dass die Ritter dort ihre Schwerter entweder vor dem Kirchgang abstumpften, um sie nicht als scharfe Waffe vor dem Gotteshaus ablegen zu müssen, oder ihre Klingen nach dem Kirchgang schärften, wenn sie mit dem Segen der Kirche in den Krieg zogen.

Nicht ganz so augenfällig wie die Kratzspuren ist eine in den Sandstein des Eingangsportals eingemeißelte Hand mit einem Schlüssel. Der Schlüssel ist das Attribut für Petrus, dem Namensgeber der Kirche.

Pastor Reuning zeigt mit dem Kirchenschlüssel auf die in Sandstein eingearbeitete Hand, die einen Schlüssel hält.
"Pastor Reuning weist auf die im Torbogen eingearbeitete Hand"

Zur Linken, dort wo auch die Kratzspuren zu finden sind, soll sich auch noch eine Schwert führende Hand verbergen, was darauf schließen lässt, das vor der Reformation Peter und Paul als Schutzheilige der Kirche in Ohsen verehrt wurden und das Gotteshaus ihnen geweiht war.

Und wo wir gerade bei steinernen Zeugen sind, dürfen auch die drei eingemauerten Kanonenkugeln im Kirchturm der Petrikirche nicht unerwähnt bleiben. Sie sind sicher nicht nach einem Beschuss dort oben stecken geblieben, sondern wurden als Erinnerung an Belagerungen nachträglich in das Mauerwerk eingefügt.

Eingemauerte Kanonenkugel im Kirchturm
"Eingemauerte Kanonenkugel im Kirchturm"

Eingefügt, das ist ein gutes Stichwort: Im Erdgeschoss des Kirchturms befindet sich eine kleine Gebetskapelle. Der Altar, das Lesepult und die kleine Kanzel stammen aus der alten Hamelner Jugendstrafanstalt am Stockhof.

Der Altar in der Gebetskapelle im Erdgeschoss des Turmraums mit Reliquien-Fach.
"Der Altar in der Gebetskapelle im Erdgeschoss des Turmraums mit Reliquien-Fach."

Und der Altar birgt ein Geheimnis: In seinem Inneren befindet sich eine in ein kleines Holzkästchen eingefügte Reliquie. Das Kästchen lässt sich aber im Winter aufgrund der niedrigen Temperatur in der Kirche nicht öffnen, wie Pastor Reuning feststellen musste. Ob sich die Reliquie der Kategorie eins, zwei oder drei zuordnen lässt, oder es sich dabei um eine sogenannte biblische Reliquie handelt, kann er nicht sagen.

Ebenfalls im Dunkeln liegt der Ursprung der Taufschale. Vermutlich wurde 1666 ein mittelalterliches Relief zu einer Messingschale umgearbeitet. Die Paradiesdarstellung aus dem 13. bis 14. Jahrhundert zeigt Adam und Eva Hand in Hand.

Ein Schatz: die Taufschale der Petri-Kirche
"Ein Schatz: die Taufschale der Petri-Kirche"

Die gotischen Majuskeln am Rand sind nur noch schwer erkennbar. Etwas jünger als das als Taufschale wiedergeborene Relief ist die älteste und größte Glocke im 48 Meter hohen Kirchturm. 1699 in Bronze gegossen gibt sie noch heute den Ton an. Die übrigen drei Stahlglocken des Geläuts stammen aus den 1950er Jahren. Die Schlagglocke an der Außenseite des Turms trägt die Jahreszahl 1905.

Damit die auf Sand gebaute Petrikirche auch nach über 1000 Jahren noch standhaft bleibt, wurde gerade erst in jüngster Zeit etwas nachgeholfen. „Alle Außenpfeiler der Kirche sind baugleich, bis auf einer und der machte Probleme“, berichtet Pastor Reuning. Dieser Pfeiler wurde seit über 15 Jahren überwacht, weil er sich im oberen Bereich vom Mauerwerk immer weiter entfernte. 2013/14 bekam er ein neues, gemauertes Fundament, das bis auf die Wesersandschichten reicht. Mit dieser Sanierungsmaßnahme wurde die Bewegung des Pfeilers gestoppt. In seine Ausgangsposition konnte der Pfeiler allerdings nicht wieder gebracht werden. Um aber dennoch weiter als Stütze des Gotteshauses dienen zu können, wurde er mit dem Mauerwerk und dem gegenüberliegenden Pfeiler durch mehrere Anker neu verbunden, Risse wurden verfugt und Schäden an den Gurtbögen sowie am Gewölbe behoben. „Jetzt ist die Statik wieder intakt“, berichtet Pastor Reuning.

Im Zuge der umfangreichen Sanierungsarbeiten am Pfeiler stießen Bauarbeiter auf alte Grundmauern außerhalb der heutigen Kirche. Pastor Reuning geht nach der Betrachtung eines Merian-Stiches davon aus, dass es sich bei dem wiederentdeckten Fundament um die Überreste einer Seitenkapelle handelt, von der aus Beerdigungen auf dem Kirchhof vorgenommen wurden. Die letzten stillen Zeugen dieser Beisetzungen in unmittelbarer Nähe zum Gotteshaus sind alte Grabsteine, die im Zuge der Umgestaltung des Kirchhofes vom Gräberfeld zur öffentlichen Grünanlage an die Außenwände der Kirche gelehnt wurden.

Sabine Brakhan